Zur Zeit – Dr Josip Stjepandić: Bosnien-Herzegowina bleibt ein Krisenherd

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Durch Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien sind sieben neue Staaten entstanden, darunter das ehemalige k.u.k.-Annexionsgebiet Bosnien-Herzegowina (BH), der sich seither als internationales Protektorat im dauerhaften Krisenzustand befindet. 

Der als serbische Aggression gegen den frisch ausgerufenen Staat BH 1992 eingeleitete Krieg entwickelte sich zum Krieg „Jeder gegen jeden“. Mit dem Friedensabkommen von Dayton (USA) wurde 1995 ein komplexes Gebilde aus 2 Entitäten und 3 konstitutiven Völkern (das 1-2-3 Prinzip) geschaffen, über welches der sog. Hohe Repräsentant (HR) als Hüter des Friedensabkommens mit nahezu diktatorischen Befugnissen wacht. Der serbische Aggressor wurde mit der Entität Republika Srpska (Republik Serbische) belohnt. Die andere Hälfte umfasst die bosniakerisch-kroatische Föderation BH (FBH).

Neben einem aufgeblähten Verwaltungsapparat, der die Korruption fördert, machen die unterschiedlichen politischen Vorstellungen dreier konstitutiven Völker (Bosniaker, Serben und Kroaten) dem jungen Staat zu schaffen. Die Serben wollen nur Serbien und lehnen jeden BH ab. Außenpolitisch streben sie zu Russland. Die (moslemischen) Bosniaker sehen sich als Daueropfer westlicher Verschwörung und wünschen sich einen unitären Staat, den sie sich mit den Serben und den Kroaten nicht teilen müssen. Außenpolitisch verhalten sie sich wie die westliche türkische (oder iranische) Provinz. Als das kleinste der konstitutiven Völker lehnen die Kroaten den Staat ab, in dem ihnen wie im ehemaligen Jugoslawien ihre ethnischen und Menschenrechte entzogen werden. Mit ihrem Streben zu EU und NATO können die Kroaten in BH kaum etwas bewegen, obwohl die meisten von Ihnen die kroatischen und somit auch die EU-Bürger sind.

Verbesserung sollten die Wahlen zum Staatspräsidium und den Parlamenten bringen, die am großen Wahltag am 2. Oktober stattfanden. Hierfür gab es keine wirklich guten Voraussetzungen. Die zentrale Wahlkommission wurde auf eine rechtswidrige Weise ohne die Prüfung der Qualifikation der Kandidaten besetzt und urteilte in Vergangenheit probosniakerisch. Das Wählerverzeichnis enthält 3.3 Mio Namen, obwohl im Lande lediglich 2.06 Mio Menschen leben, was dem Wahlbetrug sehr förderlich ist. Schließlich hat das Verfassungsgericht eine wichtige Regel für die Besetzung der Kammer der Völker in FBH bereits 2016 kassiert. Die bosniakerische Führung nutzte diese vom HR Wolfgang Petritsch im Jahre 2002 erlassene Regel aus, um die zahlenmäßig schwächeren Kroaten aus der Macht zu drängen. Das beste Beispiel hierfür ist Željko Komšić, der seit 2006 trotz seinen zahlreichen antikroatischen Ausfällen mit den bosniakerischen Stimmen gegen den erbitterten Widerstand der Kroaten zum kroatischen Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums gewählt wird. Komšić wollte 2018 sogar mit einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag den Bau der Brücke von Pelješac verhindern, dem größten EU-Projekt in Kroatien.

Die Wahlen verliefen friedlich trotz den vielen Beschwerden über Unregelmäßigkeiten, die den OSZE-Beobachtern scheinbar entgangen sind. Unter den Siegern war wieder Komšić, der seine kroatische Mitbewerberin Krišto um 43.000 Stimmen übertraf. Daß er seine Stimmen ausschließlich von den Bosniakern bekam, bezeugen die Ergebnisse aus 13 Wahlkreisen, wo die Anzahl der Wähler höher ist als die Einwohnerzahl und zugleich ganz wenige Kroaten leben. Dort erzielte er einen Vorsprung von 43.000 Stimmen.

Der Star des Wahltages wurde aber der HR Christian Schmidt, der dem Österreicher Valentin Inzko 2021 folgte. Da die bosniakerische Führung sämtliche kroatischen Vorschläge über die Änderung der Wahlregel im Sinne der sog. legitimen Vertretung (jede Volksgruppe wählt ihre eigenen Vertreter) ins Leere laufen ließ, erließ Schmidt nach der Schließung der Wahllokale eine einstweilige Regel, indem die Zahl der Sitze im Haus der Völker erhöht wird, so dass die Bosniaker die Sperrminorität der kroatischen Vertreter nicht umgehen können. Dadurch wird vorübergehend gewährleistet, dass die aus Ankara und Teheran massiv angestachelten Bosniaker nicht wie gewünscht 100% der Macht in der Föderation BH und zwei Drittel im Gesamtstaat übernehmen können.

Wie ernsthaft eine solche Wahl zu nehmen ist, zeigt das Foto der Botschafterin Mlinarević bei der Stimmabgabe in eine aus dem Schuhkarton improvisierten Wahlurne in der Botschaft in Prag. Das Gesetz schreibt nämlich einen transparenten Kasten vor. Mlinarević, eine Besetzung aus dem Komšić-Kader, ist eine Zahnlaborhelferin vom Beruf, obwohl für einen Botschafterposten eine abgeschlossene akademische Ausbildung gesetzlich vorgeschrieben ist, und fällt eher durch ihre wenig diplomatische Wortwahl als durch Erfolge auf. 

HR Schmidt hat durch die Verkürzung mehrerer Entscheidungsfristen eine Blockadesituation verhindern wollen. Allerdings hat das Auszählen der Stimmen bereits 3 Wochen gedauert. 

Die Sondierungen über eine Regierungsbildung laufen eher schleppend, weil sich bei den Bosniakern noch keine eindeutige Mehrheit abzeichnet. Gegenwärtig sieht es danach aus, als würden die Bosniaker durch eine Acht-Parteien-Koalition in der Regierung vertreten, was deren Stabilität nicht förderlich sein dürfte. Die Serben und Kroaten werden wahrscheinlich durch ihre stärksten Parteien SNSD und HDZ vertreten.

BH existiert heute nur durch den auswärtigen Druck, weil die externen Mächte die Teilung des Staates BH nicht wünschen. Gleichwohl ist der Zusammenhalt zwischen den drei Völkern denkbar gering. Es gibt nur zwei gemeinsame Feiertage: Das Neujahr und den Tag der Arbeit. Der oft beschworenen EU-Perspektive fehlt jegliche praktische Grundlage. Zusätzlich wird BH nach dem 1. Jänner 2023 durch die eiserne Schengen-Grenze von Kroatien getrennt. Würde der externe Druck zurückgehen oder sogar entfallen, dann stünde der nächste Krieg um das Erbe von BH bevor. Frage ist nur, ob dieser von den Serben oder den Bosniakern ausgehen würde. 

 

Bildunterschrift:

Zahnlaborhelferin als Botschafterin – Schuhkarton als Wahlurne

Dr. Josip Stjepandić za austrijski časopis Zur Zeit: “Bosna i Hercegovina ostaje krizno žarište”

DR. Josip Stjepandić, Hrvatsko nebo